Rezept: Eine Kurzgeschichte um die Bouillabaisse

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Zutaten für Rezept Eine Kurzgeschichte um die Bouillabaisse:



Bouillabaisse. In einem 1785 erschienenen Wörterbuch der Provence

wird die Zauberformel aufgelöst. Dort heisst es: "Ausdruck der

Fischersprache, eine Art Ragout, das hergestellt wird, indem man

Fische in Meerwasser kocht. Man sagt "bouille-baisso", weil der Topf,

sobald er kocht (bout), vom Feuer weggenommen (abaisse) wird."



Und damit ist schon der Deckel des Geheimnisses dieses Suppentopfes

ein wenig gelueftet. Man verrät uns, dass eine Bouillabaisse, wenn

sie kocht, vom Herd genommen werden muss. Denn bouillebaisso, das ist

es, was den kostbaren Sud der Fische mit dem nicht weniger kostbaren

Olivenöl vereint.



Marseille, das wird von niemandem bestritten, gilt als Geburtsort der

echten Bouillabaisse. Das Nationalgericht der Provence wurde von den

ansässigen Fischern erfunden und war urspruenglich ein

Armeleute-Essen, denn es bestand aus den unverkäuflichen

Fischresten, die nach dem täglichen Markt zusammengekehrt wurden. In

den vielen Jahrhunderten, seit es dieses Fischgericht gibt, hat es

sich verständlicherweise oft gewandelt; heute gibt es fast so viele

Varianten wie Köche, und jeder reklamiert fuer sich, er kenne das

einzig wahre Rezept, das natuerlich sein Geheimnis bleibt.



Was also eine Bouillabaisse zu einer "echten" Bouillabaisse macht,

ist eine offene Frage. Ziemlich einig ist man sich ueber die drei

wichtigsten Meeresfische, die in den Volkseintopf gehören: Rote und

braune Rascasses (Drachenköpfe) mit beeindruckend stacheligen

Panzern, St-Pierre (Petersfisch) und Grondin (Knurrhahn). Einig ist

man sich auch darueber, dass es festfleischige Fische von den

Felsklippen sein muessen. Bei Congre (Meeraal), Baudroie (Seeteufel)

und Loup de mer (Wolfsbarsch) gehen die Meinungen auseinander. Bei

Muscheln, Krabben und Langusten gibt es gar Streit - der Kenner

verzichtet darauf, weil Schalentiere in der Bouillabaisse ihren

Eigengeschmack zum grossen Teil verlieren.





Als unverzichtbare Zutaten gelten hingegen wieder allerlei kleines

Meeresgetier und Olivenöl, Knoblauch, Zwiebeln, Tomaten, Fenchel,

Safran sowie eine reiche Skala provenzalischer Kräuter und Gewuerze.

Eine kräftige Portion Weisswein und womöglich ein Schuss Pastis

runden den Geschmack ab. In unseren Breitengraden und in vielen

Gourmet-Tempeln rund um den Erdball wird das Meerwasser fuer den Sud

gänzlich durch Wein ersetzt.



Den Gipfel der traditionellen Marseiller Kochkunst erreicht man

jedoch mit der höllisch scharfen Rouille, einer goldroten Mischung

aus Mayonnaise, Knoblauch und Paprika. Sie wird auf Croutons,

geröstete Brotstuecke, gestrichen, die man in der Suppe schwimmen

lässt (und die das Brennen etwas lindern sollen).



Wie man Ihnen nun die Bouillabaisse servieren wird, ob Suppe und Fisch

nacheinander oder zusammen, ob mit oder ohne bunte Lätzchen, die man

den Gästen um den Hals bindet, auf jeden Fall geschieht alles mit

feierlichem Charme. Die Gäste sollen schliesslich merken, dass man

ihnen kein Armeleute-Essen auftischt, sondern ein Festmahl

zelebriert, und es ist ja auch entsprechend teuer. Probieren können

Sie die Bouillabaisse fast ueberall in der Provence und an der Cote

d'Azur, aber beurteilen können Sie das Fischgericht erst, wenn Sie

es in Marseille kennengelernt und beim Preis nicht geknausert haben.



:Fingerprint: 21463651,101318758,Ambrosia